Nicht unser Geheimnis (2023-ongoing)
Nicht unser Geheimnis ist meine persönliche fotografische Auseinandersetzung mit der Erfahrung von sexualisierter Gewalt an Kindern, über Generationen hinweg, innerhalb meiner eigenen Familie. Das Projekt entstand durch meine Rückkehr in das Mehrgenerationenhaus meiner Kindheit und die damit verbundene Konfrontation mit den Erinnerungen und Spuren der Vergangenheit. Um einen Umgang damit zu finden und diesen Teil der Familiengeschichte persönlich zu verarbeiten, suchte ich nach Spuren und Antworten — in den Tagebüchern meiner Urgroßmutter, im Haus selbst und in nie da gewesenen und bis dahin nicht denkbaren Gesprächen mit Familienmitgliedern.
Einblick ins Projekt ↓
„Es ist schwierig über so nahestehende Menschen etwas Schlechtes zu sagen. Das möchte man nicht. Ich will nicht sagen, wie das Verhältnis zu meinen Eltern war, weil ich fühle mich auch ein bisschen schlecht damit, dass es nicht gut war. Das ist dann wie ein Loyalitätskonflikt. So ähnlich wie wenn man so einen Täter in der Verwandtschaft hat, das offen zu sagen, weil man den in seiner Schlechtigkeit der Welt offenbart. Der ist halt jetzt auch tot, deswegen ist es leichter. Auch die Oma lebt nicht mehr, sonst wäre das auch schwieriger, das einfach so zu sagen.“
Ausschnitt aus einem der vielen Gesprächen mit meinen Familienmitgliedern
„Ich weiß es nicht mehr, wie lange ich dort war, länger als zwei Wochen waren es nicht. Ich weiß eben bloß, am Anfang war es noch nicht. Aber vielleicht hat ihn das animiert, weil ich immer auf den Händen gestanden bin und damals hast du ja nur ein Röckchen angehabt und eine kleine Unterhos‘n. Ich hab‘ mir nichts dabei gedacht. Daheim habe ich das im Garten auch immer gemacht. Er hat gesagt ‚sag der Tante Lotte nichts, nichts der Tante Lotte sagen. Nichts sagen.‘ Ich habe ja nicht gewusst, was er will. Man war ja so naiv. Ich habe ja überhaupt keine Ahnung gehabt. Es war mir einfach unangenehm, aber ich wusste nicht, was er will. Und seine Hände, diese knochigen, die waren mir unangenehm. Wenn ich nochmal mit ihm sprechen könnte, würde ich es persönlich machen. Ich würde ihn fragen, was er sich dabei gedacht hat. Und ob er nicht ein schlechtes Gewissen hat. Ich glaube, er hatte kein schlechtes Gewissen. Glaube ich nicht. Er hat wohl gedacht, es steht ihm zu. Er war so von sich eingenommen. Er ist der Mann und er darf alles. Das war mein Eindruck. Dass er gar nicht gedacht hat, dass das irgendwie schlimm ist. Das macht man halt als Mann.“
Ausschnitt aus einem Gespräch mit der Halbschwester meiner Oma
„Es sollte meiner Meinung nach anonymisiert sein, aber man sollte schon über das Thema Bescheid wissen. Es gibt da einen lateinischen Spruch: De mortuis nihil nisi bene. Über Tote spricht man nicht schlecht. Damit kein Makel auf die Familie und Angehörigen fällt, die leben ja noch. Dann wird im Zusammenhang mit unserer Familie nur darüber geredet und die Schuldzuweisung fällt dann auf die unschuldigen Nachkommen, die damit überhaupt nichts zu tun haben. Für die Familie kann das schädlich sein. Es muss schon erwähnt werden, dass so etwas vorkommt, dass andere Leute dagegen gewappnet sind. Aber nicht im Bezug auf eine bestimmte Familie. Besser das Thema in dem Sinne behandelt, aber mit Fingerspitzengefühl. Also nicht aktiv ansprechen, sondern nur, wenn es sein muss.“
Ausschnitt aus einem Gespräch mit meinem Opa
„Das ist halt alles so schwer fassbar. Und ich denke, es kann nur falsch sein, die Oma jetzt zu verurteilen, wenn das einer tut, weil da mehr Puzzlestücke dazugehören und, dass es nicht so einfach ist. Ich finde es falsch, sie als Sündenbock herzunehmen. Es ist schnell so, dass die Frau, die nichts dagegen getan hat verantwortlich gemacht wird. Da wird dann gefragt, wie kann man da wegschauen? Die sind halt auch schwach. Deine Mama war ja auch der Meinung, Oma ist das auch passiert und ich denke das auch, weil die Reaktion von ihr war ja, dass sie mir ein Foto von ihrem Vater gezeigt hat und gesagt hat, dann sei froh, dass du den nicht kennengelernt hast. Und sie hat mir so ganz tief in die Augen geguckt. Das war, als sie schon 96 war die einzige Offenbarung sozusagen.“
Ausschnitt aus einem der vielen Gesprächen mit meinen Familienmitgliedern
„Ich finde es grundsätzlich bewunderswert, wenn einer 100 wird. Ich finde es auch bewunderswert mit 75 zu sagen, ich habe diese Vision und baue so ein altes Bauernhaus jetzt um. Und dann wird das auch noch was und man kann da wirklich leben. Sich das zuzutrauen und die Gesundheit dafür zu haben mit 75 so etwas anzufangen, wer kann sowas? Aber das ist ja eben genau das. Man kann den nicht bewundern oder Anerkennung geben, weil er einfach Menschen so tief verletzt hat. Uns.“
Ausschnitt aus einem der vielen Gesprächen mit meinen Familienmitgliedern
„Wie er noch gelebt hat, konnte ich ihn nicht konfrontieren damit. Ich wusste es da schon. Er war bereits dement. Ich habe ihn noch gepflegt, obwohl ich es gewusst habe. Das war sehr ungesund. Damals war das trotzdem noch dieser tolle Opa, der so viel gemacht hat und den hat man zu pflegen. Das war ganz klar. Wir machen das. Das war halt so normal, dass die Frauen in der Familie das gemacht haben. Das waren die Oma, meine Mama und ich. Es war mir damals nicht bewusst, dass es jetzt reicht: Ich lebe mein Leben und werde dich auf keinen Fall pflegen. Du hast mein ganzes Leben rumgerüttelt und den Menschen, die nach dir kamen sehr viel Schmerz zugefügt. Das habe ich da noch gar nicht gedacht. Ich würde das jetzt auf keinen Fall mehr machen.“
Ausschnitt aus einem Gespräche mit meiner Mama
„Der Einzige, der immer zu mir gehalten hat, war mein Opa. Ich glaube, ich war für ihn so etwas wie ein Ersatzsohn. Deswegen war das für mich dann so hart, wenn der Held meiner Kindheit, meines Lebens dann so beschmutzt wird. Das kann nicht sein. Das darf nicht sein. Ich war mir auch sicher, wenn das so gewesen wäre und die Oma hätte das gewusst, das hätte sie nicht zugelassen. Das hätte nicht passieren können. Das gibt‘s gar nicht. Zumindest nicht nach meiner Wahrnehmung zu dieser Zeit. Deswegen habe ich mich dann auch dagegen geweigert. Deine Mama hat mir gegenüber dann auch mal was erwähnt, aber ich habe mich dagegen gewehrt. Dann kam der Brief meiner Schwester. Auch da habe ich mich lange geweigert, den zu lesen. Dann irgendwann war ich bereit. Das dann zu lesen, da sind mir glaube ich eine Stunde lang die Tränen heruntergelaufen. Das kann man sich nicht vorstellen. Warum habe ich als großer Bruder nichts gemacht? Warum habe ich als Onkel nichts gemacht? Diese Gedanken hast du dann. Ich weiß, das ist nicht so, aber trotzdem kommen diese Gedanken. Ich frage mich auch: Wie kann man so etwas über so lange Zeit mit sich herumtragen und verheimlichen oder wegignorieren und zulassen, dass es weiter passiert. Die Oma hat so viele Sachen gut gemacht, aber dieses eine, das übermalt das für mich. Weil das so viel Leid ausgelöst hat.“
Ausschnitt aus einem Gespräch mit meinem Onkel
Nicht unser Geheimnis (2023-ongoing)
Nicht unser Geheimnis ist meine persönliche fotografische Auseinandersetzung mit der Erfahrung von sexualisierter Gewalt an Kindern, über Generationen hinweg, innerhalb meiner eigenen Familie. Das Projekt entstand durch meine Rückkehr in das Mehrgenerationenhaus meiner Kindheit und die damit verbundene Konfrontation mit den Erinnerungen und Spuren der Vergangenheit. Um einen Umgang damit zu finden und diesen Teil der Familiengeschichte persönlich zu verarbeiten, suchte ich nach Spuren und Antworten — in den Tagebüchern meiner Urgroßmutter, im Haus selbst und in nie da gewesenen und bis dahin nicht denkbaren Gesprächen mit Familienmitgliedern.
Einblick ins Projekt ↓
„Es ist schwierig über so nahestehende Menschen etwas Schlechtes zu sagen. Das möchte man nicht. Ich will nicht sagen, wie das Verhältnis zu meinen Eltern war, weil ich fühle mich auch ein bisschen schlecht damit, dass es nicht gut war. Das ist dann wie ein Loyalitätskonflikt. So ähnlich wie wenn man so einen Täter in der Verwandtschaft hat, das offen zu sagen, weil man den in seiner Schlechtigkeit der Welt offenbart. Der ist halt jetzt auch tot, deswegen ist es leichter. Auch die Oma lebt nicht mehr, sonst wäre das auch schwieriger, das einfach so zu sagen.“
Ausschnitt aus einem der vielen Gesprächen mit meinen Familienmitgliedern
„Ich weiß es nicht mehr, wie lange ich dort war, länger als zwei Wochen waren es nicht. Ich weiß eben bloß, am Anfang war es noch nicht. Aber vielleicht hat ihn das animiert, weil ich immer auf den Händen gestanden bin und damals hast du ja nur ein Röckchen angehabt und eine kleine Unterhos‘n. Ich hab‘ mir nichts dabei gedacht. Daheim habe ich das im Garten auch immer gemacht. Er hat gesagt ‚sag der Tante Lotte nichts, nichts der Tante Lotte sagen. Nichts sagen.‘ Ich habe ja nicht gewusst, was er will. Man war ja so naiv. Ich habe ja überhaupt keine Ahnung gehabt. Es war mir einfach unangenehm, aber ich wusste nicht, was er will. Und seine Hände, diese knochigen, die waren mir unangenehm. Wenn ich nochmal mit ihm sprechen könnte, würde ich es persönlich machen. Ich würde ihn fragen, was er sich dabei gedacht hat. Und ob er nicht ein schlechtes Gewissen hat. Ich glaube, er hatte kein schlechtes Gewissen. Glaube ich nicht. Er hat wohl gedacht, es steht ihm zu. Er war so von sich eingenommen. Er ist der Mann und er darf alles. Das war mein Eindruck. Dass er gar nicht gedacht hat, dass das irgendwie schlimm ist. Das macht man halt als Mann.“
Ausschnitt aus einem Gespräch mit der Halbschwester meiner Oma
„Es sollte meiner Meinung nach anonymisiert sein, aber man sollte schon über das Thema Bescheid wissen. Es gibt da einen lateinischen Spruch: De mortuis nihil nisi bene. Über Tote spricht man nicht schlecht. Damit kein Makel auf die Familie und Angehörigen fällt, die leben ja noch. Dann wird im Zusammenhang mit unserer Familie nur darüber geredet und die Schuldzuweisung fällt dann auf die unschuldigen Nachkommen, die damit überhaupt nichts zu tun haben. Für die Familie kann das schädlich sein. Es muss schon erwähnt werden, dass so etwas vorkommt, dass andere Leute dagegen gewappnet sind. Aber nicht im Bezug auf eine bestimmte Familie. Besser das Thema in dem Sinne behandelt, aber mit Fingerspitzengefühl. Also nicht aktiv ansprechen, sondern nur, wenn es sein muss.“
Ausschnitt aus einem Gespräch mit meinem Opa
„Das ist halt alles so schwer fassbar. Und ich denke, es kann nur falsch sein, die Oma jetzt zu verurteilen, wenn das einer tut, weil da mehr Puzzlestücke dazugehören und, dass es nicht so einfach ist. Ich finde es falsch, sie als Sündenbock herzunehmen. Es ist schnell so, dass die Frau, die nichts dagegen getan hat verantwortlich gemacht wird. Da wird dann gefragt, wie kann man da wegschauen? Die sind halt auch schwach. Deine Mama war ja auch der Meinung, Oma ist das auch passiert und ich denke das auch, weil die Reaktion von ihr war ja, dass sie mir ein Foto von ihrem Vater gezeigt hat und gesagt hat, dann sei froh, dass du den nicht kennengelernt hast. Und sie hat mir so ganz tief in die Augen geguckt. Das war, als sie schon 96 war die einzige Offenbarung sozusagen.“
Ausschnitt aus einem der vielen Gesprächen mit meinen Familienmitgliedern
„Ich finde es grundsätzlich bewunderswert, wenn einer 100 wird. Ich finde es auch bewunderswert mit 75 zu sagen, ich habe diese Vision und baue so ein altes Bauernhaus jetzt um. Und dann wird das auch noch was und man kann da wirklich leben. Sich das zuzutrauen und die Gesundheit dafür zu haben mit 75 so etwas anzufangen, wer kann sowas? Aber das ist ja eben genau das. Man kann den nicht bewundern oder Anerkennung geben, weil er einfach Menschen so tief verletzt hat. Uns.“
Ausschnitt aus einem der vielen Gesprächen mit meinen Familienmitgliedern
„Wie er noch gelebt hat, konnte ich ihn nicht konfrontieren damit. Ich wusste es da schon. Er war bereits dement. Ich habe ihn noch gepflegt, obwohl ich es gewusst habe. Das war sehr ungesund. Damals war das trotzdem noch dieser tolle Opa, der so viel gemacht hat und den hat man zu pflegen. Das war ganz klar. Wir machen das. Das war halt so normal, dass die Frauen in der Familie das gemacht haben. Das waren die Oma, meine Mama und ich. Es war mir damals nicht bewusst, dass es jetzt reicht: Ich lebe mein Leben und werde dich auf keinen Fall pflegen. Du hast mein ganzes Leben rumgerüttelt und den Menschen, die nach dir kamen sehr viel Schmerz zugefügt. Das habe ich da noch gar nicht gedacht. Ich würde das jetzt auf keinen Fall mehr machen.“
Ausschnitt aus einem Gespräche mit meiner Mama
„Der Einzige, der immer zu mir gehalten hat, war mein Opa. Ich glaube, ich war für ihn so etwas wie ein Ersatzsohn. Deswegen war das für mich dann so hart, wenn der Held meiner Kindheit, meines Lebens dann so beschmutzt wird. Das kann nicht sein. Das darf nicht sein. Ich war mir auch sicher, wenn das so gewesen wäre und die Oma hätte das gewusst, das hätte sie nicht zugelassen. Das hätte nicht passieren können. Das gibt‘s gar nicht. Zumindest nicht nach meiner Wahrnehmung zu dieser Zeit. Deswegen habe ich mich dann auch dagegen geweigert. Deine Mama hat mir gegenüber dann auch mal was erwähnt, aber ich habe mich dagegen gewehrt. Dann kam der Brief meiner Schwester. Auch da habe ich mich lange geweigert, den zu lesen. Dann irgendwann war ich bereit. Das dann zu lesen, da sind mir glaube ich eine Stunde lang die Tränen heruntergelaufen. Das kann man sich nicht vorstellen. Warum habe ich als großer Bruder nichts gemacht? Warum habe ich als Onkel nichts gemacht? Diese Gedanken hast du dann. Ich weiß, das ist nicht so, aber trotzdem kommen diese Gedanken. Ich frage mich auch: Wie kann man so etwas über so lange Zeit mit sich herumtragen und verheimlichen oder wegignorieren und zulassen, dass es weiter passiert. Die Oma hat so viele Sachen gut gemacht, aber dieses eine, das übermalt das für mich. Weil das so viel Leid ausgelöst hat.“
Ausschnitt aus einem Gespräch mit meinem Onkel
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